Arno Schmidt
Arno Schmidt
Vernis mou-Radierung von Jens Rusch. (Lizenzinformation)

Schmidt, Arno – dt. Autor, *18.01.1914 Hamburg, †03.06.1979 Celle – Goethe-Preis der Stadt Frankfurt a.M.

Innerhalb der Literaturwissenschaft ist Arno Schmidts hoher Rang innerhalb der Riege der deutschen Nachkriegsautoren relativ unbestritten. Innerhalb der nichtwissenschaftlichen Leserschaft ist dagegen eine eigenartige Spaltung erkennbar: die große Mehrheit der literarisch Interessierten kennt Schmidt entweder nicht oder lehnt ihn als "verschroben" oder "zu avantgardistisch" ab, während eine eingeschworene Gemeinde von Fans Schmidt zu ihrem Kultautor erhoben hat. Innerhalb der Fangemeinde hat sich zudem eine Schmidt-Philologie entwickelt, die mit fast religiöser Hingabe die stellenweise kryptischen Texte Schmidts zu "entschlüsseln" sucht – mit einem aus wissenschaftlicher Sicht zum Teil zweifelhaften Ergebnis. Alles in allem eine paradoxe Situation, in der jeder, der sich als A.S.-Leser zu erkennen gibt, entweder auf Unkenntnis oder Unverständnis stößt und – soweit Schmidt überhaupt bekannt ist – sofort als Mitglied einer als esoterisch wahrgenommenen Fangemeinde identifiziert wird. Es scheint unmöglich, Schmidt ebenso zu lesen wie andere Autoren dieser Epoche; nach dem Motto ganz oder gar nicht wird entweder Gegnerschaft oder Hingabe erwartet. Diese Sonderstellung Schmidts gilt es zu durchbrechen, um den Autor von Gegnern einerseits und selbsternannten Jüngern andererseits für die "normale" Leserschaft zurückzuerobern. Die Arbeit lohnt, denn auf den Interessierten wartet ein großer Autor und ein überraschendes und spannendes Werk.

Schmidts Texte gelten als schwierig, er selbst wird teilweise als der "deutsche James Joyce" bezeichnet. Schmidts eigenartige Orthographie und Interpunktion, seine wortschöpferische Begriffsbildung und schließlich sein an tatsächlichen oder vermeintlichen psychologischen Erkenntnissen orientierter Stil (Gedankenfetzen und Momentaufnahmen) schrecken viele Leser ab. Dies ganz zu unrecht, denn – abgesehen von Spätwerken wie "Zettels Traum" – sind die Texte des 'Wortweltenerbauers' und 'Wort-Metzes' Schmidt durchaus lesbar. Mehr als der Wille, sich auf ungewohnte Erzählstrukturen einzulassen, wird dem Leser nicht abverlangt. Für das Textverständnis ist es auch keineswegs zwingend, die zahlreichen ungekennzeichneten Zitate zu erkennen und die eingestreuten kryptischen Bemerkungen zu enträtseln. Wer sich auf das Ungewohnte einläßt wird umso reicher belohnt, denn Schmidts Beobachtungsgabe und sein scharfer Verstand sind bewundernswert, seine Sprache ist reizvoll und sein Humor bizarr.

Schmidts erstes veröffentlichtes Werk ist "Leviathan oder Die beste der Welten", das 1949 bei Rowohlt erschien. Schmidt beschreibt darin das Schicksal von Flüchtlingen, die im Februar 1945 bei bitterer Kälte einen stillgelegten Zug wieder in Betrieb nehmen und sich auf den Weg nach Westen machen. Eindringlich wird die Orientierungslosigkeit der durch den Krieg Entwurzelten geschildert, die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens angesichts des Kriegswahnsinns, der Verlust der Selbstgewißheit angesichts einer in Trümmer gehenden Welt. Einige der Flüchtlinge suchen ihren Trost im Glauben, während der Ich-Erzähler sich fatalistisch dem von ihm als "Weltmonster" (Leviathan) wahrgenommenen Universum ergibt. Schilderungen von Kälte, Hunger, Elend und Tod wechseln sich ab mit Gesprächen der Reisenden über das Wesen der Welt und die Existenz Gottes. Zwischen allem der Krieg, ideologisch verblendete Hitlerjungen und eine chancenlose Romanze. Die im "Leviathan" eingeführte Gliederung der Handlung in unverbundene, bruchstückhafte Einzelszenen bewirkt zusammen mit Schmidts unverwechselbarer Sprache eine enorme erzählerische Dichte. Bedrückend, faszinierend, wütend.

Arno Otto Schmidt wurde am 18.01.1914 als Sohn von Clara Gertrud Schmidt, geb. Ehrentraut, und des Polizeibeamten Friedrich Otto Schmidt in Hamburg, Rumpfsweg 27, geboren (das heute dort stehende Haus wird jedes Jahr früh morgens zu seinem Geburtstag von Fans belagert). Arno war nach seiner älteren Schwester Luzie Hildegard (18.03.1911 – 24.04.1974) das zweite Kind der Schmidts. Bereits mit vier Jahren konnte Arno lesen. Seine "stockschlesischen" Eltern (so Schmidt selbst) fühlten sich – im Gegensatz zu ihrem Sohn – in der Hansestadt nicht wohl. So zog seine Mutter nach dem Tod von Schmidts Vater im September 1928 zurück in ihre Geburtsstadt Lauban (Schlesien). Von dort aus besucht Schmidt als Fahrschüler von 1928 bis 1933 die Oberrealschule, nach dem Abitur von März bis September 1933 die Höhere Handelsschule (beide in Görlitz). Anschließend absolvierte er von 1934 bis April 1937 bei den Greiff-Textilwerken in Greiffenberg eine Lehre als Lagerbuchhalter und blieb nach Abschluß der Lehre als Grafischer Lagerbuchhalter dort. Am 28. August 1937 heiratet er Alice Murawski, die ebenfalls bei den Greiff-Werken gearbeitet hatte. Schmidts Schwester emigriert mit ihrem jüdischen Ehemann 1939 in die USA. Nachdem Schmidt bereits 1939 zur Wehrmacht einberufen und schon nach einer Woche wieder entlassen wurde, wird er im April 1940 erneut einberufen und Einheiten in Schlesien zugeteilt. Im Jahre 1942 wird er nach Norwegen zu einer am Romsdalsfjord liegenden Einheit abkommandiert und verbleibt dort bis Januar 1945. Nach einem kurzen Urlaub wird Schmidt an die Westfront versetzt und fällt am 16. April in britische Kriegsgefangenschaft. Im November 1945 wird er entlassen und siedelt sich mit seiner Frau im Heidedorf Cordingen bei Fallingbostel an, wo beide bis Ende 1946 als Dolmetscher an der Hilfspolizeischule arbeiten. Schmidts Schwester schickt aus New York dringend benötigte Care-Pakete mit Verpflegung. Die Widmung in der Erstausgabe von "Enthymesis" (1949) lautet: "Mrs. Lucy Kiesler, New York, USA, meiner Schwester, ohne deren nimmer fehlende Hilfe ich längst verhungert wäre".

Weitere Informationen über Werk, Person und Umfeld Arno Schmidts sind hier verfügbar:

http://www.wolldingwacht.de/as/einf.html