barbara morgenstern
interview
peer schaefer (p.s.) führte dieses interview 2001.
p.s.: was mich beim ersten durchhören von <fjorden> sprachlos gemacht hat war die selbstverständlichkeit, mit der du instrumentale und vokale stücke aufeinander folgen läßt. wie ein derart gemischtes album aus der hand einer "singersongwriterin" entstehen und trotzdem – wie <fjorden> – als organische einheit funktionieren kann, ist mir schleierhaft, zumal es wohl keinen größeren gegensatz als den zwischen elektronischer musik und menschlichem gesang geben kann. manchmal scheinen mir die rätselhaftigkeit deiner texte und dein glasklarer gesang den instrumental-klanglichen aspekt der menschlichen stimme hervorzuheben, während einige der instrumentals in ihrer märchenhaften melodigkeit fast gesangliche qualitäten entwickeln; auf gewisse weise nähern sich vokale und instrumentale stücke des albums dadurch vielleicht einander an. welche rolle spielt diese dichotomie für dich (wenn du sie überhaupt so empfindest)? unterscheiden sich instrumentals und vokalstücke bei dir schon im ansatz, oder sind zunächst alle stücke instrumental und du wählst dann einfach einige stücke zur "vertextung" aus?
barbara morgenstern: ich empfinde das nicht als zweiteilung. zunächst zu deiner behauptung, elektronische musik und gesang sei ein gegensatz. ich bin durch die tasache, dass ich sehr autark arbeiten kann zur elektronischen musik gekommen. die situation, alleine am computer zu sitzen und zu komponieren / meine eigene soundwelt zu erschaffen – empfinde ich als extrem intime situation. es geht mir darum, ein gefühl, ob bewusst oder unbewusst, in musik umzusetzen, und die elektronik bietet dazu unfassbar grosse möglichkeiten. mit den gesangs- und instrumentalstücken ist das eine entwicklung, die sich aus den stücken selbst ergibt: fällt mir eine gesangsmelodie ein, bzw. drängt sie sich auf, wird es ein gesangsstück, ist es jedoch komplett, bzw. ist kein platz mehr für gesang da, wird es ein instrumentalstück. ausserdem kann ich mich bei den instrumentals (besonders auch live) austoben, weil ich nicht so extrem an strukturen gebunden bin. sie sind spass für mich.
bei mir entsteht immer die instrumentale basis zuerst. ich versuche nie eine melodie zu "erzwingen", d.h. entweder ich höre in meinem kopf eine gesangsmelodie – dann wird es ein vocalstück – oder nicht – dann wirds ein instrumental. ausserdem schreibe ich die texte meistens erst nach dem entstehen eines stückes. allerdings wird es wohl auf der nächsten platte das erste mal eine ausnahme geben: der text war zuerst da. man muss ja auch immer mal neue wege beschreiten...
p.s.: <vermona et 6-1> war ein sehr "buntes" album, mit vielen stücken von sehr unterschiedlicher atmosphäre, so als ob du herumexperimentierst. <fjorden> dagegen wirkt wie ein "konzept-album"; natürlich hat jedes stück seinen eigenen charakter, aber wenn man die CD öfter gehört hat, empfindet man sie sehr stark als einheit. irgendwie verknüpft eine gemeinsame stimmung, eine gemeinsame botschaft, eine gemeinsame empfindung alle stücke. konzept? stimmung? geheimnis?
barbara morgenstern: da trifftst du einen wichtigen punkt (mit dem ich mich eben gerade jetzt wieder beschäftige): jedes album ist natürlich ein neuer schritt und eine herausforderung. "vermona et 6-1" war mein erstes komplettes album und demnach habe ich die besten stücke aus den letzten jahren dafür ausgesucht, ich habe die stücke frei von irgendeiner idee geschrieben, sondern nur, weil ich lust dazu hatte. bei "fjorden" hatte ich die erfahrungen von den aufnahmen zu "vermona" und die erfahrungen von den konzerten immer vor augen (und ohren), d.h. ich habe natürlich versucht alles, was mich bei der "vermona" gestört hat besser zu machen. ausserdem wollte ich ein bisschen weg vom lo-fi, sie sollte "fetter" werden als die "vermona" (blödes wort, passt eigentlich gar nicht zu meiner musik, aber nun ja). deshalb wahrscheinlich der konzepteindruck bei "fjorden".
aber trotz aller fortschritte, die man sich vornimmt und wünscht, bleibt ja das stücke schreiben an sich immer gleich. die gleichen vorlieben für harmonien und die gleichen stimmungen, aus denen man heraus stücke schreibt. die gleichen dinge, die man aussagen möchte. doch ich denke mehr und mehr, dass diese vornehmerei (diesmal wird alles der absulute knüller!) eigentlich nur hemmt statt frei zu machen, weil man erwartungen an stücke knüpft und damit vom eigentlichen abrückt. zu meiner stimmung während des komponierens fällt mir auf, dass sich da nicht viel geändert hat: das ging schon immer von hoch euphorisch bis absulut niederschmetternd. die besten ideen kann man eben nicht erzwingen, obwohl man manchmal so gerne möchte. auch gibt es vor jedem album ein heroisches "jetzt wird alles ganz anders" gefühl und nach den ersten stücken wird dann klar: in wirklichkeit verändert sich nur die hülle, die sounds, die arrangements und das ist auch gut so. ich frage mich, ob jeder musiker eben seine truhe hat an ideen und das wars. das nennt man stil und empfindet es selbst manchmal als einschränkung.
<ein geheimnis?> oh, das ist schwer zu sagen. ich hoffe, ich habe eins, aber oft fehlt mir selber der schlüssel, manchmal steht eben auch alles offen!
p.s.: berichte doch mal etwas über das album, an dem du gerade arbeitest. wird es wieder einen so deutlichen equipment-wechsel geben, wie beim wechsel von <vermona> zu <fjorden>? oder hast du bei <fjorden> "deine" instrumente gefunden?
barbara morgenstern: einen so deutlichen wechsel gibt es wohl nicht, allerdings bin ich natürlich wieder um neue sounds bemüht. auf der "fjorden" habe ich sehr viel mit drumcomputer-samples gearbeitet, dazu hatte ich jetzt überhaupt keine lust mehr. deshalb mache ich jetzt meine drumsounds mit dem "waldorf attack" selbst – ein software drumcomputer mit dem man sounds selbst "bauen" kann. ansonsten wird es mehr gitarren geben (eher soft und funky als hart und rockig).
p.s.: arbeitest du wieder in der legendären datscha?
barbara morgenstern: nee, die hab ich abgestossen und dafür ein studio an der spree bezogen!
p.s.: hast du musikalisch etwas bestimmtes "auf dem herzen"?
barbara morgenstern: das gleiche wie immer (was auch immer das sein mag).
p.s.: wird es nach der schwebenden, klaren und fließenden musik von <fjorden> vielleicht wieder etwas "härter", "eckiger", wie in <vermona>?
barbara morgenstern: das kann ich noch nicht komplett beantworten, da ich ja noch im arbeitsprozess bin. allerdings probiere ich diesmal die stücke live aus (hab ich bei den letzten 3 konzerten schon getan), was immer sehr hilfreich ist, da man live spürt, an welchen stellen ein stück noch hängt, bzw. verbessert werden kann. ausserdem spüre ich jedes mal live, dass ich tanzbares spielen will, also wirds das wohl auch auf der neuen platte geben.
p.s.: arbeitest du alleine?
barbara morgenstern: bisher ja, aber ich werde wieder eineige leute hinzuziehen/ sie fragen, ob sie kurze passagen einspielen usw.
p.s. bedankt sich für das interview.