barbara morgenstern
23.11.2001: deutsches schauspielhaus hamburg
barbapic1 Wenn eine Musikerin wie Barbara Morgenstern ein Live-Konzert ankündigt, dann legt sich die Stirn des geneigten Hörers vielleicht in Falten: zu sehr scheint ein filigranes, präzises Album wie fjorden auf die konzentrierte Ruhe eines Studios angewiesen zu sein. Wie deutlich Studio- und Liveperformance gerade im Bereich der elektronischen Musik auseinanderfallen können, war gerade erst am Beispiel Nils Petter Molværs deutlich geworden (letztlich ist daran ja auch nichts ehrenrühriges – schließlich verlangt man ja auch nicht von jedem Schriftsteller, dass er ein hervorragender Vorleser ist).
Doch das Konzert begann, und sehr schnell lösten sich alle Zweifel auf. Kurz und klar: Barbara Morgenstern kann live. Und wie. Zum einen weil sie stimmlich und technisch eine perfekte und begeisternde Performance lieferte, was für sich genommen schon grandios genug ist. Zum anderen aber, weil das Konzert und seine Protagonistin den Sinn und die Berechtigung von Live-Konzerten deutlich wie selten vor Augen führten: den gleichen Stücken, der gleichen Musik, die man vom Studioalbum kennt, eine ganz andere Seite abzugewinnen. Bei Barbara Morgenstern stehen Studio- und Live-Fassung eines Stücks gleichberechtigt nebeneinander, scheinen gewissermaßen nur zwei unterschiedliche Interpretationen einer dritten sozusagen "authentischen" Fassung des Stücks zu sein, die es nur in ihrem Kopf gibt, ungehört von jedem außer ihr. Bei ihr kann man spüren, wie die Stücke "leben" und nicht durch die Studiofassung auf ewig zementiert und in eine feste Form gegossen sind (obwohl das Arrangement von Samples und Beats auf der Festplatte gerade das Gegenteil ermöglichen würde). Ein klares, zartes Stück entblößt auf einmal eine harte Seite, ein rhytmisches Stück wird plötzlich so "zappelig", dass keiner im Raum mehr stillhalten kann; und dennoch – es sind die gleichen Stücke, nicht gewaltsam abgewandelt oder variiert, sondern einfach von einer anderen Seite besehen, unter einem anderen Einfallswinkel des Lichts. Offenbar gehört Barbara Morgenstern zu den Musikern, für die die Live-Performance ein integraler Bestandteil der musikalischen Vorstellungswelt ist.
barbapic2 Ganz abgesehen von diesem wichtigen Verdienst hat das Konzert aber auch schlicht und einfach Spaß gemacht. Barbara Morgenstern spielt und singt mit einer solchen Energie und routinierten Professionalität und mit einer solchen offenen, ehrlichen und erfrischenden Freude an der Musik und am Musikmachen, dass es begeistert und ansteckt. Wer angesichts der Grundstimmung eines Albums wie fjorden einen sehr ernsten, stillen und nachdenklich in sich gekehrten Menschen erwartet hat, wird von dieser fröhlichen und energiegeladenen Musikerin mehr als nur verblüfft gewesen sein (obwohl auf vermona et 6-1 einige Andeutungen dieser anderen Seite ihrer Persönlichkeit vorhanden sind).
Und die Magierin der Elektronen zauberte und warf dazu ihre märchenhaft schöne Stimme mit hypnotischen Texten in den Raum. Dabei wechselten sich melancholische und weniger melancholische Stücke, Zartheit und Lautstärke, fließende und "funkige" Elemente in einem mitreißenden Rausch des Klanges gegenseitig ab, gelegentliche Gänsehaut eingeschlossen. Einige Stücke erwiesen sich dabei als derartig tanzbar, dass es auch den letzten Faulpelz zur Bewegung zwang. Dass das Publikum anfangs – aber nicht lange – kühl war (das Konzert gehörte zu einer "After-Show-Party" nach einer Lesung) und die Location vorsichtig ausgedrückt nicht optimal war (viele Zuhörer hockten auf der Treppe und standen auf einer Ballustrade), spielte dann überhaupt keine Rolle mehr. Unter jedem Blickwinkel ein lohnendes Ereignis also, und wer ein Konzert von Barbara Morgenstern in seiner Stadt weiss, braucht schon eine verdammt gute Ausrede, um nicht hinzugehen.